Feuchter Untergrund

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Feuchter Untergrund

Feuchter Untergrund

Sven Solge

Mein Name ist Manuel Köster und ich bin Inhaber der Firma „Hausmeisterservice Köster“!
Da ich mit meiner Fima noch im Aufbau war und ständig unter Personalmangel litt, musste ich einige Arbeiten auch am Wochenende oder nach Feierabend selber erledigen.
Noch ohne feste Bindung hatte ich Zeit und mit meinen 28 Jahren daran auch noch keinen Gedanken verschwendet! Es war für mich selbstverständlich, die Arbeiten selber zu erledigen.
Besonders diesen neuen Kunden wollte ich zufrieden stellen, denn das Bürogebäude hatte diverse Räumlichkeiten mit Teppichböden, die gesaugt werden wollten, sowie Treppenhaus und Eingangsbereich mit Fliesenbelag zum Wischen!
In der Woche war es schier unmöglich hier sauber zu machen, da immer reger Betrieb herrschte und ich mit dem Staubsauger zu viel Lärm machte, wenn die Angestellten telefonierten.
Anfangs hatte ich versucht meine Arbeiten am Samstag zu erledigen, aber die Geschäftsleitung hatte es sich angewöhnt, Meetings am Samstag abzuhalten und so blieb für mich nur der Sonntag. Meine drei Angestellten, wollten dann natürlich den Sonntagszuschlag haben, den ich aber selber auch nicht bekam. Folglich musste mein Sonntag daran glauben, aber so ist es nun Mal, bei einer Selbständigkeit!
Für die Etagen staubsaugen, brauchte ich ca. drei Stunden und für das Treppenhaus nochmals eine Stunde zum Fegen und anschließend feucht zu wischen!
Ich hatte gerade das obere Podest vor dem Fahrstuhl und die Treppe fertig und begann in der nächsten Ebene mit meiner Arbeit, als ich plötzlich einen Schrei und kurz danach einen dumpfen Aufprall hörte. Dann klapperte noch etwas die Treppe runter und blieb auf halber Höhe liegen.
Entsetzt lehnte ich meinen Wischmopp an die Wand und eilte die Treppe hoch.
Das Erste, was ich fand, war ein schwarzer, sehr hochhackiger Schuh, der wohl das klappernde Geräusch verursacht hatte. Mir wurde heiß und kalt, hoffentlich war da keine Frau gestürzt und hatte sich verletzt. Das konnte ich beim besten Willen nicht gebrauchen! Ich hatte zwar einen gelben Warn - Aufsteller hingestellt, aber schon oft erlebt, dass die Menschen ihn ignorierten.
Mit einem mulmigen Gefühl eilte ich die letzten Stufen nach oben und da sah ich sie.
Die Frau lag etwas verkrümmt auf dem Rücken und schien besinnungslos zu sein, denn sie rührte sich nicht. Mit wenigen Schritten war ich bei ihr: „Hallo, können sie mich hören?“, fragte ich sie und tätschelte leicht ihren Arm.“
Ihr Puls raste am Handgelenk, als ich ihn ertastet hatte, aber ihr Atem ging gleichmäßig, was ich am Heben und Senken des Brustkorbs erkennen konnte. Erst jetzt nahm ich ihre Figur in Augenschein. Mir war die Frau, die da vor mir lag, nicht bekannt, aber ich konnte auch nicht alle kennen, dazu war ich erst zu kurz hier tätig. Sie trug ein dunkle, enge Hose und eine weiße Bluse, die beim Sturz hochgerutscht war und ihren flachen Bauch etwas entblößte.
Ich fühlte mich schlecht, als ich dort hinsah und zupfte ihre Bluse mit Daumen und Zeigefinger wieder über ihre nackte Haut und bedeckte sie. Ihre langen, braunen Haare lagen etwas wirr um ihren Kopf herum, was ihr einen besonderen Chick verlieh.
Ein Blick in ihr blasses Gesicht, rief bei mir den „Erste-Hilfe-Kurs“ in Erinnerung, Blässe im Gesicht, hieß Beine hochlegen!
Ich schaute mich um, aber hier im Treppenhaus gab es nichts, wo ich ihre Beine hätte, hochlegen können!
Kurz entschlossen packte ich ihre Füße, den einen mit Schuh, den anderen ohne. Unbewusst registrierte ich ihre schlanken Fesseln, die ich jetzt zur Stütze auf meinen Oberschenkeln ablegte und von dort ihr Gesicht beobachtete. Alles an dieser ausgesprochen attraktiven Frau schien zart zu sein, was bei mir so etwas wie Mitleid hervorrief!
Gleichzeitig hatte ich erneut das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, als ich sie betrachtete. In ihr schmales Gesicht kehrte langsam die Farbe zurück und als ich sah, dass ihre Augenlieder mit den langen, samtartigen Wimpern an zu Zittern fingen, wusste ich, sie würde jeden Moment aus der Ohnmacht erwachen.
Plötzlich öffnete sie die Augen und schaute mich verwirrt an. Dann drehte sie ihren Kopf erst nach rechts und dann nach links und wieder blickte sie mich verständnislos an.
„Keine Angst, sie sind gestürzt und Ohnmächtig geworden, bleiben sie bitte noch etwas liegen!“
Doch jetzt kam Bewegung in dies zarte Persönchen!
Sie zappelte auf einmal mit den Füßen, riss sie mir aus den Händen und wollte sich aufrichten, ließ sich aber mit einem Seufzer wieder zurücksinken, weil ihr wohl schwindelig wurde.
Ich kniete mich neben sie und sprach beruhigend auf sie ein: „Sie sollten noch etwas liegen bleiben, sie haben mit Sicherheit eine Gehirnerschütterung und müssen ins Krankenhaus!“
Wieder versuchte sie sich aufzurichten, ließ es dann aber erneut und schaute mich fragend an: „Ich bin der Hausmeister und bin gerade hier, um das Treppenhaus sauber zu machen!“, versuchte ich ihr meine Anwesenheit zu erklären.
Ich zückte mein Handy und wählte den Notruf, ich erklärte dem Beamten was hier passiert sei und dass ich eine Gehirnerschütterung vermutete. Er nannte mir noch ein paar Verhaltensmaßregeln und meinte dann der Wagen werde in etwa 10 Minuten da sein.
„Wie heißt du?“, fragte ich junge Frau impulsiv, ohne bei dem unpersönlichen `sie´ zu bleiben.
„Ines!“, kam es zaghaft über ihre Lippen.
„Ich bin Manuel und wenn ich dir helfe, meinst du, du könntest es bis zum Fahrstuhl schaffen, wenn ich dich stütze? Der Notarzt kommt sonst nicht ins Haus und ich will dich ungerne hier alleine zurücklassen.“
Ines deutete mit den Augen an, dass sie es versuchen wollte, gab aber schon bei der ersten Bewegung auf.
„Ganz langsam, bitte! Ich helfe dir!“, sagte ich und schob ganz vorsichtig einen Arm unter ihren Oberkörper und zog sie etwas an mich. Sie stöhnte leise, half dann aber mit. Als sie stand, umfasste ich sie an der Taille und sie legte ihren Arm um meine Schultern. Langsam gingen wir die fünf Meter bis zum Fahrstuhl. Ich drückte den Knopf und hörte das typische Geräusch, als im Erdgeschoss die Tür zuging. Wenig später öffnete sich die Fahrstuhltür. Unten angekommen brachte ich Ines zu der kleinen Sitzgruppe im Foyer, die aus zwei Sesseln und einer Couch bestand.
Ich ließ Ines auf der Couch nieder und riet ihr sich hinzulegen, was sie mit einem Seufzer tat.
Durch die große Fensterfront sah ich das Blaulicht des Krankenwagen schon die Auffahrt hochkommen und wollte zur Tür gehen, um den Notarzt reinzulassen, doch Ines umklammerte meine Hand, so, als wenn sie mich nicht loslassen wollte.
„Ich geh nicht weg, will nur den Arzt rein lassen! Die Tür ist abgeschlossen.“ Widerstrebend ließ sie meine Hand los.
Der Arzt und ein Sanitäter kamen rein und schauten mich fragend an, ich deutete zum Sofa.
Während der Arzt Ines untersuchte, fragte der Sanitäter mich, wie es zu dem Unfall gekommen war. Nachdem ich ihm das geschildert hatte, fragte er mich noch: „Wie heißt die junge Dame?“
„Das weiß ich leider nicht, bisher konnte ich nur ihren Vornamen `Ines´ rausbekommen! Ich bin erst seit kurzer Zeit hier Hausmeister und kenne noch lange nicht alle Bediensteten, die hier im Haus der Firma Holtymann tätig sind. Da ich die Büroräume und das Treppenhaus nur am Sonntag oder in der Nacht reinigen kann, mache ich es für gewöhnlich am Sonntag, da dann hier niemand ist. Ich habe heute zum ersten Mal jemanden angetroffen, war selber sehr überrascht.
Der Sanitäter holte eine Trage rein und als Ines sich darauf abgelegt hatte, schreckte sie plötzlich hoch: „Ich brauche meine Tasche, die ist noch im Büro!“ Sie sah mich flehend an. „Welches Büro ist ihres fragte ich Ines?“
„Zimmer 312!“, sagte sie und schaute mich bittend an.
„Ok!“, ich fahre eben rauf und hole die Tasche, warten sie bitte so lange!“, sagte ich an den Arzt gewandt.
„Das können wir nicht, wir haben schon einen neuen Einsatz. Bringen sie die Tasche bitte ins Betesda Krankenhaus!“
Und schon schoben sie die Trage zum Einsatzfahrzeug.
Ich war wie vom Donner gerührt, was hatte ich damit zu tun, der Dame die Tasche hinterher zu tragen, die noch nicht mal in der Lage war, den Warnaufsteller zu beachten?
Doch dann erschien vor meinem geistigen Auge, der flache Bauch, den ihre Bluse etwas frei gelassen hatte und wenig später, diese faszinierenden Samtaugen. Ich hatte bisher noch bei keiner Frau so feine und dichte Wimpern gesehen.
Nachdenklich fuhr ich mit dem Fahrstuhl zum dritten Stock und suchte das Zimmer 312.
Ziemlich am Ende des Ganges fand ich ihr Büro und öffnete die Tür. Doch bevor ich eintrat, fiel mein Blick auf den Namen, der unter der Zimmernummer stand:
                                                                            312
                                                                Ines Holtymann

Das durfte nicht sein?
Die Frau mit den Samtaugen war die Tochter des Firmeninhabers Bruno Holtymann.
Ich betrat das Büro. Alles war so, als wenn es kurz vorher in aller Eile verlassen worden war. Der PC lief noch und zeigte den Bildschirmschoner, eine Akte lag aufgeschlagen auf dem Schreibtisch. Daneben ein Kaffeebecher, mit dem Motiv eines Kussmunds. Dann entdeckte ich die Handtasche auf dem Stuhl neben dem Schreibtisch.
Ich bewegte die Maus und sofort erschien das Eingabefeld für das Passwort.
Das hatte ich nicht, folglich blieb mir nichts anderes übrig, als den Computer einfach auszuschalten.
Ich schnappte mir die Handtasche, nahm auch noch den halbvollen Kaffeebecher mit und leerte ihn in der Teeküche, spülte ihn kurz um und stellte ihn zum Abtropfen in die dafür vorgesehene Halterung.
Nachdem ich noch kurz mein Putzwerkzeug weggeräumt hatte, ging ich nach unten und entdeckte an der Couch ihren schwarzen Schuh, den die Sanitäter nicht mitgenommen hatten.
Ich nahm auch den noch an mich und machte mich auf dem Weg zum Krankenhaus.

-*-

Mit meinem kleinen Transporter brauchte ich eine knappe halbe Stunde bis zum Krankenhaus.
Ich ging gleich zur Notaufnahme und fragte dort nach Frau Ines Holtymann.
Der Herr an der Information schaute in seinen Computer und meinte dann lakonisch: „Habe ich nicht!“
„Die Frau wurde vor etwa einer dreiviertel Stunde mit Gehirnerschütterung hier eingeliefert!“
Er schaute erneut: „Inneres, 1. Etage“, kam die knappe Antwort.
Ich machte mich auf den Weg. Zum Glück war alles gut ausgeschildert, sodass ich mich schnell auf der Station Inneres wiederfand.
Im Schwesternzimmer saß ein Pfleger, der eine Reihe Monitore überwachte, auf meine Frage, ob ich zu Frau Ines Holtymann gehen könnte und auf welchem Zimmer sie liegt. Bekam ich wieder nur eine mürrische Antwort: „Geht nicht, ist noch beim CT!“
„Ok, ich warte auf sie! Ich habe ihre Handtasche, sie werden sicherlich irgendwann ihre Versicherungskarte brauchen!“
„Die können sie auch mir geben, ich reiche sie dann weiter!“
„Tut mir leid, aber das kann ich nicht machen! Frau Holtymann hat mir gesagt ich solle ihr die Tasche persönlich übergeben!“
„Dann müssen sie warten!“, kam die schnippische Antwort.
Ein paar Meter weiter waren an der Wand ein paar Klappstühle angebracht, wo ich mich dann niederließ. Ich kochte innerlich, hatte dieser Unfall doch meinen ganzen Tagesablauf durcheinandergebracht. Komischerweise richtete sich mein Unmut nicht gegen die Frau mit den Samtaugen, sondern gegen das unfreundliche Personal.
Es dauerte über eine Stunde, bevor sich etwas regte. Ein Bett wurde aus dem Fahrstuhl geschoben und kamen in meine Richtung.
Ich hatte mich erhoben und schaute in das Bett, als es an mir vorbei geschoben wurde. Ich erkannte sie sofort, weil sie ihre Augen geschlossen hatte und ihre zarten Wimpern ihr ein so verletzliches Aussehen verlieh.
„Ines?“, sagte ich leise. Der Pfleger stoppte sofort. „Sie kennen die Frau?“, fragte er mich, während ich sah, wie Ihnes langsam die Augen öffnete.
„Ja, ich habe den Unfallwagen gerufen und bringe ihre Handtasche und ihren zweiten Schuh, den sie verloren hatte.“
„Das ist gut, sie scheint eine kurzeitige Amnesie zu haben, denn sie kann sich nicht an ihren Namen erinnern?“
„Manuel?“, hörte ich plötzlich leise Ines Stimme, wandte mich sofort ihr zu und nahm ihre Hand, die fahrig über die Bettdecke strich.
„Kommen sie man mit, ich bringe sie eben aufs Zimmer! Ich brauche noch ein paar Daten von ihr!“
Innerlich jubelte ich, von Amnesie konnte keine Rede sein, wenn sie sich an meinen Namen erinnern konnte.
Ich ging neben dem Bett her und spürte, dass Ines meine Hand fest umklammerte. Scheinbar war ich der einzige Halt, den sie im Moment hatte.
Der Pfleger schob das Bett in ein Zimmer, das zum Glück leer war und wandte sich dann an mich: „Bleiben sie bitte noch, ich hole mir eben was zum Schreiben.“
In der Zwischenzeit, bevor der Pfleger zurückkam, fragte ich Ines: „Hast du in deiner Tasche eine Versicherungskarte oder deinen Ausweis?“ Ich hielt ihr die Tasche hin und sie schaute mich ratlos an.
„Soll ich mal schauen?“, fragte ich.
Sie nickte und ich öffnete ihre Handtasche. „In der Seitentasche!“, sagte sie plötzlich mit überraschend klarer und fester Stimme.
Tatsächlich! Ich zog ein kleines Etui heraus in dem ihr Ausweis und ihre Versichertenkarte steckten.
Was mir sofort ins Auge fiel, war ihr Geburtsdatum, sie war im Juli geboren und gerade 26 Jahre alt geworden.
Der Pfleger kam zurück und ich übergab ihm die Versichertenkarte und den Ausweis. „Toll!“, meinte er, „dann habe ich ja alles beisammen! Ich lese die eben im Schwesternzimmer ein und bringe sie gleich zurück!“ Er verschwand wieder.
„Soll ich deinen Vater anrufen und ihm sagen, dass du hier bist?“, fragte ich Ines, doch sie hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen. Wieder berührte mich der Anblick ihrer wunderschönen Wimpern eigenartig.
Sie schlief aber nicht, was ich an ihrer Hand erkennen konnte, die ruhelos über die Bettdecke strich, so als suche sie etwas. Impulsiv ergriff ich ihre Hand und sofort hielt sie meine fest.  
„Bleib bitte bei mir!“, sagte sie sehr leise.
„Deine Eltern sollten aber schon wissen was passiert ist!“ Versuchte ich es erneut, doch sie schüttelte nur unmerklich den Kopf.
Ich war ratlos? Was sollte ich nur machen?
Der Pfleger brachte ihre Ausweispapiere zurück und als er mich händchenhaltend am Bett stehen sah, holte er lächelnd einen Stuhl und stellte ihn mir hin. „Setzen sie sich doch!“
Es dauerte noch etwas ein halbe Stunde, bis ich an ihren gleichmäßigen Atemzügen merkte, dass sie eingeschlafen war.

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